Pandemie als Treiber für E-Demokratie
01. Dezember 2020
Die COVID-19-Pandemie hat uns mit einem neuen Paradox konfrontiert: wir sollen zusammenhalten, indem wir uns auseinanderhalten.
Social Distancing
Folgerichtig sind beispielsweise bei der jüngst abgehaltenen Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl fast 44 Prozent der Stimmen per Briefwahl abgegeben worden, bei auf etwa 65% gesunkener Wahlbeteiligung. E-Voting hingegen, also die Stimmabgabe über das Internet, ist weiterhin bei Wahlen zu allgemeinen Vertretungskörpern in Österreich nicht möglich – und das obgleich die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien so gut wie alle anderen Lebensbereiche durchdrungen haben.
Bürger:innen-Beteiligung stärken
Wo stehen wir, nach 20-jähriger Diskussion über die Möglichkeiten, welche die neuen Technologien der politischen Meinungs- und Willensbildung bieten, in der Entwicklung der elektronischen Demokratie? Im zentralen politischen Willensakt der Wahl der politischen Vertreterinnen und Vertreter also weiter erst am Anfang! Aber E-Demokratie ist viel mehr als E-Wahl: vielleicht sogar noch wichtiger als die Möglichkeit einer Online-Stimmabgabe bei Wahlen sind die vielen Optionen elektronischer Partizipation, also einer Beteiligung der Bürger:innen an den Prozessen inhaltlicher politischer Meinungs- und Willensbildung unter Nutzung neuer Medien.
Immerhin kommt den sozialen Medien in der Bildung der öffentlichen Meinung heute eine wesentliche Funktion zu. Wenn wir freilich einen Blick auf die Qualität der politischen Diskurse in diesen Medien, etwa in den Foren wichtiger Massenmedien, werfen, dann erscheint sie allzu oft durch mangelnde Kontextualisierung ebenso beeinträchtigt wie durch eine Fokussierung auf Personen und Personengruppen statt auf Themen. Allgemein zugängliche Deliberationsforen, welche die Diskurse in adäquate Informationsumgebungen einbetten, bleiben Desiderate.
Die Qualität der öffentlichen politischen Diskurse beeinflusst maßgeblich die Qualität politischer Entscheidungen. E-Demokratie, und in ihrem Rahmen nicht zuletzt die Nutzung der neuen Technologien zur Unterstützung zeit- und ortsunabhängiger themenzentrierter politischer Diskurse, kann diese Qualität nachhaltig verbessern helfen. Ansonsten droht der bloße Rekurs, wir hätten ja „eh Demokratie“, mittel- und langfristig die Integrationswirkung des politischen Systems zu erodieren.
Zur Person
Mag. Dr. Günther Schefbeck, Parlamentsbeamter, befasst sich mit Parlamentarismusforschung, Rechtsinformatik und Fragen der elektronischen Demokratie.