BMJ und BRZ gewinnen eAward für Einsatz von KI zur Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen
Jury bestätigt „perfekten Einsatz von KI bei repetitiven Arbeitsvorgängen“. KI hilft dabei, Entscheidungen mit geringem Aufwand rasch zu veröffentlichen.
03. Oktober 2022
Durch den Einsatz einer auf künstlicher Intelligenz basierenden Anonymisierungslösung können Entscheidungen ordentlicher Gerichte mit geringem Aufwand rasch veröffentlicht werden.
Anonymisierte Daten. Ordentliche Gerichte, dazu zählen etwa Bezirksgerichte oder Oberlandesgerichte, treffen Entscheidungen, die für alle Rechtssuchenden wesentliche Bedeutung haben. Es werden fast ausschließlich Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs im Rechtsinformationssystem des Bundes veröffentlicht. Vor einer Publikation müssen alle personenbezogenen Daten sowie Informationen, die einen Rückschluss auf die Sache bzw. Personen ermöglichen, entfernt werden.
Als manueller Prozess nimmt diese Anonymisierung viel Zeit in Anspruch. Mangelnde Personalkapazitäten an den Gerichten verhindern eine breitflächige Veröffentlichung von Entscheidungen. Wie können notwendige manuelle Aufwände bedeutend reduziert werden? Simple Antwort: Mithilfe künstlicher Intelligenz. Um dafür die technischen Voraussetzungen zu schaffen, hat das BRZ gemeinsam mit seinem Kunden, dem Justizministerium, ein entsprechendes Innovationsprojekt aufgesetzt.
Ziel des Projekts war es, die in Gerichtsentscheidungen vorkommenden Personen, Organisationen, Orte sowie weitere relevante Metadaten zu identifizieren, zu extrahieren und basierend auf festgelegten Regeln und schließlich unter Einhaltung gesetzlicher Rahmenbedingungen zu anonymisieren. „Es war schnell klar, dass diese Aufgabenstellung mit Einsatz von Machine-Learning-Modellen und künstlicher Intelligenz gelöst werden kann“, erklärt Dr. David Wurmbäck, Product Manager für Justizlösungen im BRZ. „Flankierend dazu kommen weitere technische Services wie etwa die Berücksichtigung vorhandener Registerdaten oder eine regelbasierte Suche zum Einsatz.“
Jedes dieser Services verarbeitet das Dokument parallel und liefert einen Output der durchgeführten Verarbeitung. Alle Outputs der einzelnen Services werden danach zusammengeführt. Das Ziel hinter dem Einsatz mehrerer unterschiedlicher Services und Technologien ist es, die jeweiligen Stärken nutzbar zu machen und vorhandene Schwächen bestmöglich auszugleichen. Die eingesetzten Machine Learning-Modelle werden auf Basis manuell markierter Gerichtsentscheidungen trainiert. Diese kommen sowohl bei der Erkennung der enthaltenen Informationen als auch bei der Entscheidung darüber, welche Textpassagen zu anonymisieren sind, zum Einsatz.
„Das klingt einfacher, als es ist“, erläutert Wurmbäck. „Schon die Identifizierung der zu anonymisierenden Daten ist eine nicht zu unterschätzende Leistung. Neben dieser technischen Herausforderung kommt aber eine fachliche Komplexitätsstufe hinzu. Das System muss in der Lage sein zu erkennen, in welcher Rolle eine erkannte natürliche oder juristische Person in diesem Dokument vorkommt.“ Beispielsweise sind Richter:innen, die im Rahmen von Entscheidungen genannt werden, nicht zu anonymisieren, ebenso sind etwaige Vertreter:innen der Parteien im Klartext zu belassen. Parteien eines Verfahrens oder im Rahmen der Entscheidung genannte Zeuginnen oder Zeugen hingegen sind allerdings zu anonymisieren. Außerdem darf es auch zu keinen Überanonymisierungen kommen, da dadurch die Nachvollziehbarkeit einer Entscheidung leiden könnte.
Damit das System seinen Nutzen bestmöglich entfalten kann, war es erforderlich, dieses so komfortabel wie möglich in den Arbeitsalltag der Anwender:innen zu integrieren. Daher wurde die Möglichkeit, eine automatische Anonymisierung anzustoßen, direkt in das justizeigene Aktensystem integriert, in dem der Gerichtsakt vollständig digital geführt und jederzeit verfügbar gehalten wird. Nach Abschluss der Verarbeitung erhalten die Anwender:innen nach wenigen Sekunden das fertig anonymisierte Dokument. Um eine nachgelagerte manuelle Kontrolle der durchgeführten Anonymisierung zu ermöglichen, werden durch die Anonymisierungslösung zwei Dokumentversionen generiert. Eine Version, die im aus Textverarbeitungsprogrammen bekannten Überarbeitungsmodus ausgegeben wird, sowie eine zweite, bereits vollständig anonymisierte Version.
Um in weiterer Folge die angestrebte Publikation der Entscheidung möglichst einfach und effizient abschließen zu können, ist es danach möglich, direkt im Aktensystem eine Veröffentlichung im Rechtsinformationssystem des Bundes anzustoßen. „Durch Einsatz dieser automatischen, auf künstlicher Intelligenz basierenden Anonymisierungslösung konnten damit bisher verbundene manuelle Aufwände bedeutend reduziert bzw. eliminiert werden“, freut sich LStA Mag. Christian Gesek, Leiter der Abteilung für Rechtsinformatik, Informations- und Kommunikationstechnologie im BMJ. „Ebenso können damit die Durchlaufzeiten massiv gesenkt werden, da das System binnen weniger Sekunden ein mehrseitiges Dokument verarbeiten und entsprechend anonymisieren kann.“
Die durch die österreichische Justiz entwickelte Lösung weckt auch im europäischen Umfeld Interesse, da die Anforderungen der Anonymisierung personenbezogener und einen Rückschluss erlaubender Daten in den meisten Rechtsordnungen ähnlich sind. Beleg dafür sind mehrfache Anfragen anderer EU-Länder hinsichtlich eines Know-how-Transfers sowie der Gewährung von Einblicken in die technologische Konzeption und Umsetzung. Auch in Österreich selbst sind weitere Einsatzmöglichkeiten denkbar. Die Lösung wurde zwar in erster Linie für die Nutzung bei der Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen als Voraussetzung für eine öffentliche Publikation und die damit einhergehende Entlastung der bisher damit befassten Mitarbeiter:innen entwickelt. „Der Bedarf ist aber auch außerhalb der bisher im Fokus stehenden ordentlichen Gerichtsbarkeit gegeben. Vor allem im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit gibt es entsprechenden Bedarf und Anfragen, diese justizeigene Lösung so zu erweitern, dass auch Entscheidungen dieser Behörden automatisiert anonymisiert werden können“, so Gesek.
„Diese Lösung stellt ein weiteres zentrales Puzzlestück auf dem konsequent verfolgten Digitalisierungspfad der österreichischen Justiz dar und unterstreicht die Ambition, nutzenstiftende Lösungen auf dem letzten Stand der Technik zu schaffen.“
LStA Mag. Christian Gesek, Justizministerium