Der gläserne Mensch ist Realität. Das Recht auf Privatsphäre leidet.
23. August 2018
Ein Gespräch mit Dr. Shermin Voshmgir, Direktorin des Forschungsinstituts für Kryptoökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Wo liegen die größten Herausforderungen in einer digitalen Wirtschaft?
Das kommt auf die Perspektive an, sprechen wir vom Endkunden, von Firmen oder vom Staat? Je nach Perspektive stellen sich andere Herausforderungen. Ich möchte mich auf die Perspektive der Kunden konzentrieren. Die größte Herausforderung heutzutage ist, dass Nutzer/innen jeglicher wirtschaftlicher Leistung keine Kontrolle darüber haben, was mit ihren Daten passiert. Das liegt an den bestehenden Datenstrukturen, denn das herkömmliche Internet ist nach wie vor darauf aufgebaut, dass Daten zentral auf einem Rechner abgespeichert und Kopien dieser Daten über das Internet verschickt werden.
Jedes Mal, wenn das geschieht, verlieren wir die Kontrolle darüber, was der andere mit unseren Daten macht.
Freunde, die E-Mails von uns bekommen, Banken, die unsere Stammdaten verwalten, Facebook, Google und Co, die unsere Verhaltensdaten tracken. Das herkömmliche Internet hat auch keinen eingebauten Sicherheitslayer. Kryptografische Verfahren wurden erst später auf Anwendungsebene dazugebaut sozusagen. Das ist ein Problem, wenn wir nicht zum gläsernen Menschen werden wollen. Wir müssen daher unsere Datenstrukturen neu erfinden, damit wir mehr Kontrolle über unsere Daten haben, bei gleichzeitiger Wahrung unserer Privatsphäre durch Kryptografie. Genau das passiert jetzt dank Blockchain und dem dezentralen Web oder dem Web 3.0.
Kann die Blockchain ein Allheilmittel für sichere und zuverlässige Transaktionen in der Zukunft sein? Wo sehen Sie konkrete Anwendungsfälle?
Blockchain ist kein Allheilmittel. Es ist nur eine Technologie in diesem neuen dezentralen Web, das jetzt gerade entsteht. Kryptografie sorgt einerseits für Transparenz für alle Teilnehmer/innen und gewährleistet gleichzeitig die Privatsphäre jeder/jedes Einzelnen. Daten sind nicht zentral auf Servern abgespeichert, sondern alle Rechner im Netzwerk haben denselben Informationsstand. Transaktionen werden per Mehrheitskonsens verifiziert, nicht durch zentrale Instanzen. Diese neue Technologie vermeidet Datensilos, ineffiziente Datenschnittstellen und ermöglicht echte P2P-Transaktionen ohne zentrale Clearingstellen. Geld ohne Banken wie im Falle von Bitcoin, Monero u.a. Dezentrales File Storage ohne Amazon, soziale Netzwerke ohne Facebook und Co wie im Falle von Steemit.
Die Zukunft ist schon da, sie ist nur noch nicht bei jedem angekommen.
Wie beurteilen Sie die Auswirkungen einer völlig digitalen Ökonomie auf die Gesellschaft und auf den Einzelnen?
Wir leben in einer zunehmend digitalen Welt, in der wir zum gläsernen Menschen werden, da alle unsere Handlungen, irgendwo von irgendwem getrackt werden. Das Recht auf Vergessen ist meiner Meinung nach die falsche Debatte, wenn etwas einmal aufgezeichnet ist, dann ist es bekannt, auch wenn es nachträglich gelöscht wird. Wir müssen daher das Recht auf Privatsphäre, das in demokratischen Gesellschaften auf Verfassungsebene garantiert ist, neu diskutieren.
Wir müssen über das Recht auch auf kryptografischen Schutz unserer Privatsphäre reden.
Das geschieht zu wenig. Im Gegenteil, Kryptografie wird eher als Indiz potenzieller krimineller Aktivitäten gewertet. Dabei entspricht es dem Briefgeheimnis in der analogen Welt.
Wie resilient kann eine Demokratie sein, wenn theoretisch eine völlige Überwachung der Bürgerinnen und Bürger mittels moderner Technik möglich ist?
Blockchain und KI sind sehr mächtige Technologien. Wenn wir unsere Datenstrukturen nicht mit der notwendigen Vorsicht aufbauen, sodass das Recht auf Privatsphäre gewährt ist, können diese Technologien sehr schnell zu Kontrollinstrumenten für Überwachungsstaaten dienen. Das passiert nicht nur in China, sondern auch vor unserer eigenen Haustür, und die meisten merken es nicht. Durch KYC (Know Your Customer)-Ver- fahren u. a., die auf Geldwäschegesetze, Antiterrorgesetze, Kinderpornografie- bekämpfung etc. zurückzuführen sind, aber zunehmend unsere Privatsphäre aushöhlen, weil wir nun dadurch bei allen unseren Aktivitäten identifizierbar sind.